Jan 30, 2019

P und T chatten über Raumfahrt und humanoide Roboter

Text zur Performance "Zwischenspiel"

P:

Ich lese gerade ein Buch von Oriana Fallaci, es heißt »Quel giorno sulla luna«. Sie dokumentiert die Mission Apollo 11 mit der ersten Mondlandung im Juli 1969, sagt, dass der »Menschentypus« Astronaut eher roboterartig sei, also keinesfalls ein romantischer Schwärmer. Im Grunde sei der Mensch, der das All erforscht, schon ein anderer Mensch, einer, der sich einer Maschine angleicht, weil er sonst an der Herausforderung des Weltalls zerbrechen würde.

Fallaci beleuchtet diesen Aspekt von verschiedenen Seiten und unterstützt dennoch diese Mission als Anfang einer neuen Ära in der Menschheitsgeschichte.

Spannend ist für mich tatsächlich, wie Erfindungen und Neuentdeckungen sich auf die Menschheit auswirken, oder anders herum: welcher Art die Menschheit ist, die die Erfindungen und Entdeckungen von heute hervorbringt.

T:

Also irgendetwas zwischen hirnbefreitem »Ich mach einfach mal, Hauptsache ich mache was« und Mengele.

P:

Mengele? Fallaci sagt, Astronauten seien ein besonderer Typ Mensch, und sie interessiert, dass dieser Typus, den sie monoton und langweilig findet, die Mondlandung realisiert hat. Was soll das bitte mit Mengele zu tun haben? Wenn, dann ist es keine »Rassenauslese«, sondern eine Zeitenauslese. Wir sind anders als die Menschen der Renaissance und die Zukunft wird noch mal andere Menschen hervorbringen, roboterartige Menschen, oder vielleicht besser: superrationale, mit hochtechnologischen Prothesen versehene Menschen.

Diese Maschinen sind in uns und außerhalb von uns, und ich nehme es einfach zur Kenntnis. Du selbst trägst eine Prothese in dir, ist das jetzt gut oder schlecht?

Aber sag doch mal was zu humanoiden Robotern.

T:

Es fiele mir leichter, etwas zu den Robotern zu schreiben, wenn Du mir »was zu beißen« gäbst - also 'ne Frage oder These oder so was; es ist einfach nicht mein Thema! Ich denke, im Großen und Ganzen ließe sich die einfache Formel festhalten: Ich habe ganz massiv etwas gegen Fortschritt ohne Sinn, also gegen das Prinzip, etwas zu erschaffen und sich dann um den Rest nicht zu kümmern.

P:

Was zu beißen...ich denke, ein figürlicher Bildhauer als eine Art Prometheus könnte sich ansehen, was andere Prometheuse so anstellen. Humanoide Roboter als Bildhauerei des 21. Jahrhunderts. Eine gewagte These. Eine Idee. Vielleicht eine sinnlose. Eine, die meine Fantasie anregt.

Fortschritt ohne Sinn, sagst du. Wer entscheidet, was sinnvoll ist und was nicht? Es gibt auf der Erde viele widersinnige Dinge. Die Diskussion ist dynamisch, sie ändert laufend ihre Richtung. Selbstverständlich sollte man sich mit den Konsequenzen beschäftigen, aber das ist doch immer schon die Krux der Menschheit gewesen: die Geister, die ich rief... ich bin nicht dafür, den Wissensdurst und die Phantasie der Menschheit einzuschränken.

T:

Wissenschaftliche Arbeit unterliegt, soweit man mir das beigebracht hat, gewissen Regularien. Und diese wären - wie man das in einer Demokratie eigentlich tut - zu verhandeln. Meinst Du nicht? Solche Diskussionen gibt es aber keine mehr; es wird einfach gemacht. Und damit bin ich nicht einverstanden.

Wenn wir von dem Modell einer Gesellschaft wie der deutschen ausgehen, unterliegen ihre Mitglieder gewissen demokratisch zu verhandelnden Regeln, denen auch Wirtschaft und Wissenschaft unterliegen. In Deutschland haben wir Kunstfreiheit und sogar die muss gewisse Regeln beachten; die ach so bejubelte FREIHEIT hat also auch hier ihre Grenzen. Also sind Forschung und Wirtschaft und Kunst beschränkt; und das hat auch den einen oder anderen Grund.

P:

Vollkommen einverstanden, aber das meinte ich ja. Wissensdurst und Fantasie sind frei, aber begleitend werden sie (in demokratischen Foren) erörtert. Und die gibt es doch.

T:

Hm. Du hast mich zu meinen Gedanken nach dem Roboter-Kram gefragt; und für mich stellt sich die Frage, wie sinnvoll die Entwicklung dieser Hohlkörper in dem Kontext Kosten - Nutzen ist (irgendwo kommt die Knete ja her und »Investoren« wollen ja auch relativ schnell, manchmal auch erst in einigen Jahren, etwas dafür sehen!), aber auch die Frage danach, wie wir die Teile einsetzen sollen.

Lösen Roboter irgendeines unserer Probleme? Ja, wir wissen mittlerweile, dass wir so etwas erschaffen können. Vielleicht noch nicht jetzt in menschlicher Qualität, aber möglich ist es durchaus, früher oder später; aber die Frage, was wir damit anstellen wollen, was diese Teile uns bringen sollen oder welche Gefahren sie bergen, damit beschäftigt sich, wie immer, niemand. Fortschritt um des Fortschritts Willen, wie FDP-technisch ... und dumm ... und laaangweilich!

 P:

Roboter lösen nicht unsere Probleme. Aber auch Michelangelos Pietà Rondanini löst sie nicht, oder ein Tanzspektakel von Jérôme Bel, und ich wollte sie nicht missen, selbst wenn ich etwas an ihnen auszusetzen hätte. »Was bringt uns das« ist die Denkweise der Krämer, der Boden, auf dem wir uns momentan bewegen. Mit dieser Denkweise zerstört man Wissenschaft und Kunst - die im übrigen durchaus etwas miteinander zu tun haben, die es in der Vergangenheit hatten und es eben wieder haben sollten. Das wäre ein Fortschritt, den ich mir wünsche: dass Kunst und Wissenschaft auf konzeptueller Ebene wieder etwas miteinander zu tun haben.

T:

Ja, Kunst und Wissenschaft KÖNNEN eng beieinander liegen - tun sie aber nur in den seltensten Fällen. Was vielleicht daran liegt, dass Leonardo und Co. in einer anderen Zeit, mit anderen Visionen und in etwas anderen Gesellschaften lebten...

P:

Klar. Renaissance. Aus. Vorbei. Spezialistentum. Blabla. Es ging darum zu sagen, dass die beiden sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. Der Glaube fehlt da noch in dem Triumvirat.

T:

In unserer Gesellschaft trennen wir inzwischen alles; wir kaufen sogar Stifte und Kaffeemaschinen in dafür eigens geschaffenen Geschäften! Und Du kommst jetzt mit einem Konzept aus der Renaissance.

Vielleicht liegst Du damit ja auch nicht verkehrt; war ja, was Kunst und Wissenschaft (auch getrennt voneinander) angeht, jedenfalls eine blühendere Zeit. Heute gäbe es mehr Möglichkeiten - aber fast nur beschränkte Mittel - was auch eine Beschreibung intellektueller Fähigkeiten wäre.

P:

Interessant: du meinst also, unsere intellektuellen und technischen Fähigkeiten seien beschränkter als die anderer Zeiten? Wir sind überspezialisiert und dilettantisch, hm, ja, ich glaube, da hast du Recht. Ich weiß nicht, ob darin nicht auch unsere Stärke liegen könnte. Was meinst du?

T:

T? (Stille)

P:

Um auf deinen FDP-Seitenhieb zurückzukommen; mit Fortschritt um des Fortschritts willen hat das für mich weniger zu tun; eher mit Wissensdurst und Phantasie um ihretwillen. Meinetwegen auch gepaart mit Eitelkeit, Geldgier, Profilierungssucht, Konkurrenzdenken, etc. Was aus der Idee der humanoiden Roboter wird, wissen wir letztendlich erst, wenn sie da sind, denn inzwischen geht es darum, noch ein Stückchen mehr zu erfahren, was den Menschen ausmacht; wie wir denken; wie unsere Physis (unsere Form) unsere Fähigkeiten bedingt.

Ein schöpferischer Akt ist das! Man weiß nicht, was dabei herauskommt! Was aus einer großen Operninszenierung wird, wissen wir auch erst, wenn sie da ist; wenn wir sie gesehen haben und uns damit befassen können.

T:

Moment. Was den »schöpferischen Akt« angeht, liegen wir vermutlich mit unseren Ansichten gar nicht so weit auseinander - in der Motivation für denselben aber schon. Was ist wirklich neu, was geschieht eben nur aus Ego: ICH will etwas Neues schaffen - wie Leonardo sein (schnarch)... Wie viele Leonardos hat's denn seitdem gegeben?

Probier Dich aus, versuch etwas Eigenes zu erschaffen, und freue Dich wenn's glückt; und spring nicht gleich vom Eiffelturm, wenn's nicht klappt - Du befindest Dich in guter Gesellschaft! Aber dieses »Schaffen um jeden Preis«, egal auf wessen Kosten, der Hinweis »da können wir dann ja mal drüber diskutieren, wenn's so weit ist« ist einfach zum Kotzen und nicht kreativ!

P:

Wie gesagt, es wird diskutiert, es werden Verbindungen hergestellt, es wird der Öffentlichkeit vorgestellt, es wird Wissen geteilt, das sind alles Dinge, die sehr langsam vorangehen und ob das schöpferisch ist, sei dahingestellt. Es ist jedenfalls menschlich.

Der Astronaut sei ein absolut rationaler Typ Mensch, ein Technologie-Freak, ein kalter Rechner, eben ein Roboter, sagt Fallaci, die wie Tausende anderer Journalisten diese Mission Apollo 11 begleitet, kommentiert und diskutiert hat.

Sie befürwortet den Flug ins All, ja, sie ist geradezu begeistert. Und verdammt: welcher mit Phantasie bedachte Mensch wäre es nicht? Spannend ist doch gerade diese Verbindung aus Fantasie und rationalem Denken. Jules Verne (=ein Künstler) hat den Flug erdacht, die NASA (=ein kapitalistisches, wissenschaftliches, rationales, kollektives Konsortium) führt ihn durch. Das eine ist Kunst, das andere Wissenschaft und Technologie. Die eine bedingt die andere und umgekehrt.

T:

Ich halte Wissenschaft und Kunst für zwei unterschiedliche Gebiete mit vollkommen unterschiedlichen Funktionsweisen. Ich denke, dass das, was beide eint, die Sehnsucht ist, »Neues« zu entdecken, was beiden gleichermaßen selten gelingt. Ansonsten gibt es Ähnlichkeiten, aber diese kann ich auch überall entdecken. Während Wissenschaft aber in ihrer Funktion erstarrt, kann Kunst darüber hinauswachsen, kann hinterfragen, was Wissenschaft in der Forschung nie tut, kann aufzeigen, was Wissenschaft doch meist zu verbergen sucht.

P:

Klar, künstlerische Visionen sind viel freier, sie verknüpfen Rationalität mit Gefühl, Mögliches mit Phantastischem; sie sind poetisch. Wissenschaft ist es nicht, es sei denn in den seltenen »Sternstunden der Menschheit«, wie die Apollo 11-Mission eine war. Aber es gibt viele tolle Wissenschaftler, die es schaffen, ihre hochspezialisierte Arbeit dem einfachen Volk nahezubringen und dabei philosophische Fragen aufwerfen. Kunst und Wissenschaft sind komplementär: das Aufklärerische der Wissenschaft bietet einen stabilen Grund für intelligente, rationale, poetische Kunst.

T:

Ich sehe das nicht so idealistisch. Jahrzehntelang sind Amis und Russen und Chinamänner einfach losgeflogen und haben tonnenweise Weltraummüll dagelassen. Kaum etwas davon fällt uns auf den Kopf oder verglüht - es kreist und kreist und kreist - und macht Weltraum-Missionen für künftige Generationen mehr als nur gefährlich; auf jeden Fall unberechenbar. Und alles bloß, weil die Alten nicht gedacht haben.

Am spannendsten finde ich die Problematik, dass da etwas geschaffen wird, das auf Energie angewiesen ist - und die Erschaffung von Energie bzw. die Erschließung neuer Energiequellen noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckt. Hier wird also an etwas gearbeitet, das Energie und Geld in Massen verschwendet und vielleicht nicht einmal eine Chance hat, zu funktionieren, da es keine Lebensgrundlage hat...

P:

Wir werden die Energie finden, ganz einfach.

T:

Manchmal machst Du mir wirklich Angst! Spar Dir solche Sprüche für die FDP und streng Dich hier einfach mal mehr an - oder sach einfach nix dazu, wenn Dir nichts Besseres einfällt. Aber für »Alles wird gut« sind konservative, schönheitsoperierte Frauen zuständig!

P:

Wir unterhalten uns über Smartphone, obwohl wir sehr weit voneinander entfernt leben. Mit den ganzen Computern verschwenden wir viel mehr Energie als mit einem Dreikäsehoch von humanoidem Roboter. Die Roboterforscher sind sich dieses Problems natürlich bewusst. Und übrigens gehen solche Gedanken absolut konform mit dem Fortschritts- und Rationalitätsglauben der Marxisten. Von wegen FDP.

T:

Interessiert mich nicht.

P:

Was sie weder besser noch schlechter macht. Ich bin optimistisch und weißt du was: solange wir die Energie nicht finden, müssen wir eben warten mit den Robotern, oder wir hängen nur ganz wenige ans Netz, oder wir werfen ihnen geifernde Sexisten zum Fraß vor, das ist ganz viel überschüssige Energie.

T:

Har, har. Die andere Geschichte wäre die: wenn Energie dann rationiert wird oder nur noch den 0,1% der Bevölkerung zur Verfügung steht, die »sich« das »leisten können«, was passiert dann man mit dem überschüssigen Menschenmaterial; also Dir und mir und all den Anderen? Die haben nichts von dem Herumgerobotere...

P:

Die haben schon jetzt nichts von Smartphones, Herzschrittmachern, SUVs und Ähnlichem. Oder bist du der Meinung, man sollte alles stoppen, die gesellschaftliche Umverteilung vornehmen und dann immer noch überlegen, ob man weitermacht mit unserer Zivilisation... also keine Smartphones mehr, keine Herzschrittmacher, keine SUVs und auch keine humanoiden Roboter, bis wir nicht alle sozialen Probleme auf der Erde gelöst haben. Ab sofort: nur noch Umverteilungspolitik! Alles andere ist unwichtig. Das ist völliger Quatsch! Die Dinge laufen parallel, beeinflussen sich gegenseitig und müssen alle laufend debattiert und in Angriff genommen werden. 

T:

...wir kommen immer wieder bei den gleichen Fragen an, die Gesellschaften zerstört, damit auch Entwicklungen zerstört oder aber erheblich zurückwirft und die nie gelöst werden, unter anderem, weil es ja so nette »Gadgets« zur Ablenkung gibt... und das ist vielleicht, was ich meine: Was stimmt nicht mit dieser Art, wie »wir« uns weiterentwickeln?

P:

Was stimmt nicht mit uns? Sollten wir vielleicht zum Psychiater? OK, ich gebe zu, das ist billig, aber wir zerbrechen uns doch schon dauernd den Kopf darüber!

T:

Auf DIESEM Planeten gibt es nur ein Prinzip - und das heißt Leben! Alle Spezies, die wir noch am Leben gelassen haben, folgen diesem Prinzip - sich so lange es geht am selben zu halten und neues Leben zu erschaffen -, nur wir nicht.

P:

Das Prinzip Leben. Was heißt das? Leute, liebt euch, Frauen, kriegt Kinder. Na, machen wir doch! Oder nicht...? Wir wollen leben, möglichst lange. Vielleicht übertreiben wir das auch ein wenig. Wir setzen uns dem Leben aus und machen manchmal eine Kehrtwendung. Leben ist für die Menschheit doch nicht nur vegetativ. Sie hat ein Bewusstsein, sie stellt Fragen, sie zermartet sich. Wie wir gerade. Das ist Leben.

T:

...wir erschaffen alles mögliche, was uns mal früher, mal später umbringt - und das Erschaffene wird solange am Leben gehalten bzw. nicht abgeschafft, wie es einigen wenigen einen kurzfristigen Gewinn bringt; erst wenn Tausende krepiert sind oder eine auch für die Wenigen bedrohliche Lage eintritt, wird gehandelt. Bis dahin forschen wir munter weiter; weil's Geld und Incentives bringt. Wie erbärmlich!

P:

Klar, der Kapitalismus. Es zählt nur Geld, Geld, Geld. Die Menschheit ist gierig und schlecht. Wie langweilig. Wie selbstzermürbend. Dann bleibt uns nur noch der Sprung in den Vulkan? Weißt du was? Ich glaube, wir vertagen die Diskussion. Aber zum Abschluss noch ein Statement von Astronaut Alexander Gerst als Dementi für deinen Geldgier-Vorwurf:

»Wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut, sieht man, dass wir Entdecker sind. Seit Jahrhunderten haben wir jeden Winkel der Erde erforscht und sind auf jeden Kontinent vorgedrungen, haben hinter jeden Baum, auf jeden Berg geschaut. Das liegt in unserem Blut. Wir Erdenbewohner sind ein Insel-Volk. Nun tun wir gut daran, das Meer zu erkunden, das uns umgibt.

Ich bin sicher: wenn man 10.000 Jahre in die Zukunft schaut, wird man sich an unser Zeitalter als das erinnern, in dem die Menschheit die Erde verlassen hat. Zum ersten Mal hat irdisches Leben den Planeten verlassen.

Uns ist noch gar nicht klar, wie wichtig das ist, weil es noch nicht lange her ist. Wir sind gerade mal eine Generation davon entfernt. Heute ist die Raumfahrt für uns selbstverständlich. Das wird im Nachhinein, da bin ich mir sicher, so bedeutend sein wie der erste Fisch, der sich aus dem Ozean gewagt hat.«