Apr 18, 2018

"An was arbeiten Sie gerade?" / Mittwoch 2. Mai 2018, 19:00 Uhr / Halle der Platform

In der aktuellen Ausgabe der Reihe "An was arbeiten Sie gerade?" präsentieren fünf Künstler_innen der PLATFORM-Ateliers in zehnminütigen Kurzvorträgen ihre aktuellen Projekte und neuesten Konzepte. Die PLATFORM versteht sich als Ort des Austauschs und Dialogs und bietet daher im Anschluss die Möglichkeit, mit den Künstler_innen in Kontakt zu treten und Positionen zu diskutieren.

 

Vortrag von Phoebe Lesch

Die Lage ist prekär, in jeder Hinsicht; das soll heute mein Generalbass sein. Ich meine das persönlich, ich meine es politisch, aber was soll ich dazu sagen. Konzentrieren wir uns auf das Künstlerische, obwohl ich nicht weiß, ob es das Künstlerische an sich überhaupt gibt.

In welchem Zustand ist dieses merkwürdige, schillernde Ding Kunst? Das Kunstding…. Im letzten Jahrhundert wurde es ganz schön auseinander genommen; Ideen der Romantik, bis zum Äußersten getrieben, Zufall, Fragment, Entmaterialisierung, Konzeptualisierung; der Künstler über das Werk gestellt, das Werk durch künstlerische Erfahrung transzendiert. Übrig bleiben Reliquien, Fetische. Schwer zu restaurieren. Das mörderische 20. Jahrhundert, das von sich selbst so viel Aufhebens gemacht hat: ich stelle mir vor, wie seine Artefakte vermodern, verblassen, seine digitalen Aufnahmen, obwohl kühl gelagert, verlöschen, nicht mehr abspielbar sind, es könnte spurlos verschwinden, das wilde Jahrhundert… nur die neoklassischen Venedigansichten von De Chirico, die niemand versteht, sind immer noch da, stell ich mir vor… ich finde solche Vorstellungen durchaus amüsant.

Was zählt und bleibt, sind Ideen. Es wurde dekonstruiert - nicht nur in der Kunst - und es wird immer weiter dekonstruiert, der Kunstbegriff dermaßen gespreizt, dass potentiell alles Kunst sein kann, oder, anders betrachtet, nichts.

Jeder Mensch ist ein Künstler, massenhaft Menschen machen Kunst, der Betrachter sieht sich selbst als Künstler, die Arbeiten sind Mittel zur Selbstbespiegelung. Jeder kann seine Viertelstunde Berühmtheit erlangen und erlangt sie. High versus Low ist obsolet, Fringe rückt ins Zentrum, alle Grenzen werden niedergerissen, die Kunstwelt selbst deklassiert. 

Von der Autonomie des Kunstwerks kann keine Rede mehr sein, die Wertschätzung, die man einer Arbeit  entgegenbringt, fußt auf den Mechanismen des Kunstbetriebs, ist sozialer und spekulativer Natur, beruht auf persönlichen oder kollektiven Erfahrungen, die als Teil der Arbeit angesehen werden. Kunst wird funktionalisiert und zahm gemacht, für soziale, politische, werbetechnische Zwecke eingesetzt (aber das ist gar nicht neu).

Wie könnte ein für diese prekäre Zeit relevantes Kunstwerk aussehen? Dass ich das Thema für äußerst problematisch halte, ist klar, dass ich es nicht weiß, schicke ich gleich vorweg. Ich verfüge nur über Strategien der Annäherung, über eine Haltung.

Dies ist eine neue Zeit, aber mein Kopf und mein Erfahrungsschatz stammen noch aus der alten. Es ist paradox: 

Ich möchte der Wahrheit auf die Spur kommen und wähle dazu die illusionistischste aller Tätigkeiten,

ich mag heiligen Ernst und beißenden Spott,

Ich zeige und will gleichzeitig verstecken,

ich möchte etwas Bleibendes herstellen, aber nichts bleibt

ich glaube an Kunst als Gegenstand und gebe Ideen den Vorrang, 

ich weiß, dass es mit der Autonomie der Kunst vorbei ist und verteidige sie doch verbissen, 

ich bin reaktionär und fortschrittlich zugleich

ich denke, Kunst ist elitär, arbeite aber nun mit an der Demontage des Elfenbeinturms

jetzt, wo alles Kunst ist, möchte ich mich außerhalb der Kunst stellen,

ich denke, dass Kunst ein starkes Ego braucht, das seine Vorstellungen durchsetzt, aber in Zukunft ist sie wohl das Ergebnis kollektiver Anstrengungen oder anders gesagt: von Begegnung,

ich glaube, der Raum für Kunst ist minimal, es kann nur ein kurzes Aufscheinen sein, Kunst ist unfrei, aber vollkommene Freiheit ist für Kunst Bedingung,

ich weiß nicht, was ich tue, aber nachdem ich es getan habe, ergibt es für mich einen Sinn

ich möchte etwas Ganzes schaffen und bringe doch nur Fragmente hervor. 

  1. Ich versuche mich an alten Formen, in denen die heutige Welt aufblitzt. Ich verwende haltbare Materialien, damit sich unsere Maschinenmenschennachfahren eine Vorstellung davon machen können, wie wir waren, verkörperter Geist, vergeistigter Körper, unsterbliche Sterbliche, archaisch und futuristisch, intelligente Idioten, das Beste, was die Erde bisher zu bieten hatte. Ich versuche, das Alte minimal zu verändern, um es so zeitgenössisch werden zu lassen. Gegen Auflösungserscheinungen setze ich die Rückkehr zum Archaischen, zur ganzen Form. Anstatt zu dekonstruieren, rekonstruiere ich. Ich verstecke meine Kunst hinter etablierten Formen der Vergangenheit, damit sie frei bleibt und niemals im Dienste von etwas anderem stehen wird als sie selbst. 

 

Ein Kopf wie dieser ist nur ein Fragment, nur der erste Teil der Arbeit, er braucht den richtigen Kontext. Nur was ist dieser Kontext? Das Sockelproblem; der Sockel, viel weiter gefasst als eine wie immer geartete Auflagefläche im Raum, der Umraum, etwas Abstraktes, nicht Fassbares, Ideen, genau das, was ihn eben zur Kunst macht. Kann ich das überhaupt beeinflussen? Meine Arbeit soll frei im Raum schweben, am liebsten in die Erdumlaufbahn geschossen werden, aber wie kann man sie dann sehen, soll man sie sehen oder reicht schon die Vorstellung aus, der Kopf werde ins Nichts entlassen wie der tote Astronaut in „Odyssee 2001“?

Der Versuch des heutigen Abends war zu sehen, ob mein Wort- und Bildgerüst zu einem Sockel taugt. Was meinen Sie?