Dez 1, 2016

Kunst als Kunst

Kunst als Kunst. Was bedeutet das?
In »Das Projekt der abstrakten Moderne« (Gerhard Merz. Ein Künstler des Agnostizismus) schreibt Herbert Molderings: »Keine außerbildnerischen Überlegungen, keine Modellvorstellungen von der Welt, keine Subjektivität des Künstlers (nur Identität von Bild und Bildmittel). Nullpunkt kompositorischer Gestaltung, Entsinnlichung der Malerei, aber Grundprinzip: Kunst als Formfindung.« Desweiteren: »Abstrakte Kunst ist nicht inhaltsleer. Sie ist Ausdruck der Dissoziation von Anschauung und Theorie, die seit Kopernikus in den Naturwissenschaften praktiziert wird. »Kopernikus hat die Probleme dadurch gelöst, dass er nicht zum Himmel hingesehen hat«. Abstrakte Kunst ist Ausdruck des »Projekts der abstrakten Moderne«, des reinen Geistes, des Absoluten, Sublimen; Fragmente einer großen geistigen Konstruktion.«
Was ist damit anzufangen?
Zu Kunst als Kunst:
Kunst als autonomes Gebilde ist die Vorstellung, dass Kunst neben »allem anderen« bestehen soll, wie Ad Reinhardt sagt, und mit nichts anderem etwas zu tun hat. Das ist eine Utopie (das ist das Gute an dieser Idee); leider ist es eine Utopie, aus der schon alles geschöpft wurde, was es aus ihr an Kargem zu schöpfen gab. Was bleibt übrig, wenn »Kunst Kunst ist und alles andere alles andere«, wenn man zu jener angestrebten, idealen Essenz der Kunst vorgedrungen ist und alle Black Paintings gemalt sind? Man hat alles über Bord geworfen, außer sich selbst. Man hat den Pinsel, den Spachtel, den Bleistift in der Hand und hält inne. Was weiter?
Kunst als Kunst zu propagieren ist Ausdruck eines extremen Individualismus, der sich jeden Input aus dem Leben verbietet; einer äußerst starken Subjektivität, die behauptet, sie existiere nicht. 

Zu Kopernikus:
Die Kopernikanische Wende bedeutet doch eigentlich keine Dissoziation von Theorie und Anschauung, sondern »nur« die Umkehrung eines Weltbilds zur Lösung eines Problems. Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Nicht die Sterne am Himmel bewegen sich, sondern wir, die wir auf der sich drehenden Erde stehen. Ohne Anschauung keine Theorie. Ohne Theorie kein Verständnis dessen, was angeschaut wird. Theorie und Anschauung sind eng miteinander verbunden. Will man diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nun unbedingt auf die Kunst übertragen, bleibt also festzuhalten, dass die Theorie mit dem Geschauten in Verbindung steht. Sie muss sich aus dem erschließen und macht gleichzeitig verständlich, was zu sehen ist.

Zum Projekt der abstrakten Moderne:
Die Frage stellt sich, wenn es so bezeichnet wird, welches Ziel dieses Projekt verfolgt. Die Darstellung der Realität auf der Höhe neuester wissenschaftlicher Erkenntnis? Möchte man sich mit der Abstraktion eine Legitimität neben den die Realität exakter und kühler abbildenden Film und Foto bewahren? Möchte man dem sich als fatal erwiesenen Terrain der Gleichsetzung von Kunst und Leben im Dienste totalitärer Politik entgehen, indem man die Kunst dem Leben vollständig entzieht?
Diese Abstraktion scheint ein Refugium zu sein, die Ablehnung des In-den-Dienst-Stellens von Kunst, die Hoffnung, Kunst gebe durch Abstraktion, durch selbständiges Konstruieren von Formen, ehe sie in den Dingen nachweisbar sind, tieferen Einblick in die Realität. Das ist wunderbar, nur ist alles, was sich der Mensch vorstellt, in der Natur nachweisbar. Der Mensch kann sich nichts vorstellen, was über Raum und Zeit hinausgeht. Kunst ist nie im Dienst einer Abbildung der Realität gestanden, allenfalls in dem einer Konstruktion von Realität anhand sichtbarer Formen. Die Kunst der alten Meister stand in einem Wettstreit mit der Natur, die man zu übertrumpfen suchte. Insofern ist die Abstraktion keine Neuerfindung, sondern eine Variante des Gegenständlichen, eine Variante, die aus einem eingeschränkten Verständnis von Kunst entstanden ist und de facto in eine Einschränkung der zur Verfügung stehenden Formen mündet.

Der Mensch hat instinktiv den Wunsch nach Sinngebung. Dieser findet sich bei der abstrakten Kunst in der Analogie zum naturwissenschaftlichen Denken (siehe Kopernikus). Abstrakte Kunst beansprucht also völlige Freiheit, um sich wieder in einen Dienst zu stellen. Indessen haben die Naturwissenschaften als Bedingung für den Fotoapparat diesen zu einem Instrument gemacht, der uns tatsächlich, und viel eher als Malerei oder Bildhauerei, ein naturwissenschaftliches Bild der Realität liefert.
Es ist keine neue Idee, aber trotzdem eine wahre, meine ich: der Rückbau aller künstlichen Extremitäten und technologischen Hilfsmittel, die menschliche Hand ist der Schlüssel zur Freiheit der Kunst, die perfekte Beherrschung der Nachahmung die Bedingung für gestalterische Fähigkeiten.

Die Pop Art fusionierte High mit Low, stimmte mithin den Abgesang des elitären Gedankens an, und sie tat Recht daran. Die Kunst, durch Platon (auch noch innerhalb seines totalitären Weltbilds) auf die niedrigste Stufe hinter Philosophie und Handwerk gestellt, wurde im Gefolge Duchamps (aber ohne dessen herrliche Ironie) in himmlische, größenwahnsinnige Abstraktionsgefilde geführt, wo nichts von alledem übrig bleibt, was die Sinne anregt. Das ist ein bombastisches Unterfangen, vor dem ich mich verneige. Aber ich habe keinen Beitrag dazu zu leisten. Die Bildenden Künste sollen sich nicht dem Zwang zum formalen Spiel unterwerfen müssen. Science Fiction, Natur, Technologie und Phantasie sind die Elemente, aus denen sich eine Kunst für heute speisen könnte, die groß ist und gleichzeitig so banal wie die Menschheit selbst.