Feb 17, 2016

Aquarium, ein zeitgenössisches Denkmal.

Wohin mit meinen Bronzeköpfen? Ab ins Aquarium!



Zeitgenössische Bildhauerei


Nachdem in der Bildhauerei sehr lange der Mensch als zentrales Motiv galt, wurde im 20. Jahrhundert die Auslegung des Skulpturalen immer freier. Die Moderne erklärte die Skulptur für obsolet, den Sockel für akademisch. Duchamp redete der Aufweichung der Gattungsgrenzen das Wort, Donald Judd stellte mit seinen „specific objects“ Werke einer dritten Gattung in den Raum, die weder Malerei noch Bildhauerei sein sollten, die Land Art sprengte räumliche Grenzen im Außenraum, Body Art, Performances, Foto und Film innere Grenzen. Die Einheit von Kunst und Leben wurde ausgerufen und praktiziert und der Kunstbegriff sukzessive so stark erweitert, dass Kunst und Nicht-Kunst inzwischen schwer zu unterscheiden sind.

Eine Bestandsaufnahme zum Thema Bildhauerei hat das Kunstforum in seinem Band vom Oktober/November 2014 vorgenommen. Unter dem Titel „Grenzenlose Skulptur“ (S. 28/29) schreibt Sabine B. Vogel, im Laufe der Befragung beteiligter Akteure habe sie die „erstaunliche“ Beobachtung gemacht, dass „die abstrakte Formensprache der Moderne (...) wieder aufgegriffen, aber umgedeutet (wird). Auch die Idee eines autonomen Kunstwerks (sei) zurück und selbst das Podest (werde) neu entdeckt“. Und weiter: „Gerade weil die Grenzen zwischen den Medien immer fließender werden und in unserer Gesellschaft alles Tun zunehmend als kreativ und künstlerisch bezeichnet wird, wäre es fatal, den klar zugewiesenen Begriff „Skulptur“ aufzugeben“.

Es finden also Rückgriffe, Querverbindungen, Verästelungen auf Prinzipien und Formen statt, die vom linearen Fortschrittsglauben der Moderne eher abweichen. Das Denkmodell von heute ist das Rhizom.

Allein der Verlust der „Logik des Denkmals, also einer Repräsentation, die an etwas erinnert“ und mithin die klare inhaltliche und räumliche Verortung von Bildhauerei scheinen definitiv. Die zeitgenössische Skulptur ist immer abstrakt (auch wenn sie figürlich ist), denn in Ermangelung eines besonderen Ortes mit spezifischer Bedeutung befasst sie sich mit dem Raum, „den man die negative Bedingung des Denkmals nennen könnte“ (Rosalind Krauss).

Natürlich arbeiten viele Bildhauer heute ortsspezifisch, nehmen den Ort als Ausgangspunkt für ihre Arbeit, wofür sich der Begriff „Installation“ durchgesetzt hat. Alle Grenzen zwischen Skulptur und Raum fallen, die Aufmerksamkeit des Betrachters wird vom „Werk“ auf den „Ort“ gelenkt. Trotzdem sind diese Arbeiten keine Denkmäler. Das liegt an der gewollten Aufhebung der Grenzen, die das Kunstwerk in die Umgebung einbindet als „ein Teil unter vielen“, aber auch an der Unbeständigkeit des Ortes und der Zeit, die sich in diesen Arbeiten ausdrückt. Nichts ist ewig, alles ist relativ und verhandelbar; dies schwingt ganz selbstverständlich als zeitgenössisches Lebensgefühl in Installationen und zeitgenössischen Skulpturen mit. Das Denkmal wirkt in diesem Zusammenhang anachronistisch, weil es für Beständigkeit, Ewigkeit und Nichtverhandelbarkeit steht.

 

Das Denkmal

 

Auf dem Promenadeplatz in München stehen eine Reihe von Standbildern, darunter die Orlando di Lasso-Skulptur vor dem Bayerischen Hof und ein Abbild Graf Maximilians von Montgelas ein paar Meter weiter Richtung Innenstadt. An beiden lässt sich ablesen, was ein Denkmal ist – oder eben nicht.

Ich flaniere also im Jahr 2015 am Promenadeplatz entlang, bleibe vor der einen Figur stehen, verharre vor der anderen. Für mich besteht kein Zweifel: Orlando di Lasso ist ein Denkmal, die Aluminiumfigur von Karin Sander ist keines, jedenfalls im Sinne von Rosalind Krauss’ Definition. Woher rührt dieser Eindruck?

Sehen wir uns die beiden Bildnisse näher an. Orlando steht auf einem Sockel, ein klassisches Bildnis aus Bronze, Maximilian wurde aus Aluminium gefertigt und steht direkt im Gras, beide in repräsentativer Haltung. Orlando gibt vor, wirklich derjenige zu sein, den er verkörpert, und selbstredend geht von seinem Fundament eine starke Botschaft aus, nämlich die: ich werde hier für immer stehen. Ganz anders Maximilian; sein Bildnis ist nur angedeutet, eine Art Rasterbild, computergeneriert aus einem ersammelten Fundus, ohne künstlerische Interpretation. Hier steht er nun am Promenadeplatz in München; obwohl die Figur für diesen Ort entworfen wurde, wirkt sie wie eine abstrakte Erscheinung, die sich überall und nirgendwo materialisieren könnte.

Max von Widnmanns 1849 fertig gestellte Statue von Orlando di Lasso sieht zwar unverrückbar aus, war aber ursprünglich am Odeonsplatz enthüllt worden und gelangte erst 1860 an ihren jetzigen Standort. Sie überstand den Zweiten Weltkrieg nicht und wurde 1958 neu gegossen. Das von von Widnmann gewählte Antlitz stützt sich wie bei Sander auf Überlieferungen, denn der Komponist lebte bekanntermaßen drei Jahrhunderte früher als der Bildhauer. Allerdings erfolgte die Gestaltung von Hand und nicht durch den Computer.

Was also bei Maximilian von Montgelas im künstlerischen Konzept mit eingebaut ist, nämlich dass Ort und Zeit instabil und wechselhaft, dass unsere Auffassungen relativ sind und unser Wissen eigentlich eine Interpretation, liegt bei Orlando di Lasso außerhalb: das Geschehene bezeugt es, ficht die Wirkung der Statue aber nicht an.

Was ist ein Denkmal also aus heutiger Sicht? Eine Fiktion? Eine Lüge? Ein Relikt?

 

Der Sockel und die Autonomie des Kunstwerks

 

„Der White Cube ist ein invertierter Sockel“, soll Franz West in einem Interview gesagt haben. Damit wird deutlich, was der Sockel oder auch der Rahmen in der Malerei bezwecken: eine „Isolation des Objekts vom umgebenden Raum“. „Der Sockel (vermittelt) zwischen dem Raum der Repräsentation und dem Realraum. Rahmen wie Sockel schaffen Distanz, bezeichnen eine Präsentationssituation und stoßen die ästhetische Rezeption des zur Schau Gestellten an. (...) Der Sockel ist eng mit dem Begriff der Geschichte verbunden.“ (Kunstforum Thema „Grenzenlose Skulptur“, Band 229, S. 212, „Die Sockelperspektive“ von Manuela Ammer).

Der Sockel ist nicht entscheidend, um das Standbild von Orlando di Lasso auch heute noch als Denkmal wahrzunehmen, aber er ist ein im wahrsten Sinne des Wortes gewichtiges Detail. Er drückt den Wunsch nach Verortung von Kunst aus, er ist konkret und physisch; gleichzeitig bezeichnet er, dass der Raum der Kunst ein anderer ist als der Raum der Realität und garantiert in gewissem Sinne die Autonomie des Kunstwerks.

Viele Künstler wollen von dieser Autonomie nichts wissen und haben sich auch des Sockels entledigt; Werk und Betrachter stehen auf demselben Boden und halten sich ideell im selben Raum auf. Auch Karin Sander platziert Maximilian von Montgelas auf der Erde. Die Statue muss sich in einem Raum behaupten, der nicht mehr außerhalb des Alltäglichen, Konkreten, Materiellen, Maschinellen, Gesellschaftlichen liegt. Das macht sie zur einer sehr prekären und zeitgenössischen Idee.

Wenn ein Sockel heute in der Kunstproduktion auftauche, dann als „rhetorische Figur“, meint Manuela Ammer in ihrem Artikel „Die Sockelperspektive“ (Kunstforum Thema „Grenzenlose Skulptur“, Band 229, S. 215). Der Sockel vermittele nicht mehr, könne aber „eine Stelle markieren, einen physischen Ort, an dem die Sinnfluktuation einen punktuellen Fokus erhält (...) Gerade weil sich die Geschichte der Skulptur ohne den Sockel nicht denken lässt, hat er das anachronistische Potential, Kontinuität gleichzeitig zu behaupten und in Frage zu stellen.“

 

Mein Projekt

 

Ich habe eine Reihe von neun Köpfen modelliert und in Bronze gießen lassen. Es sind keine Portraits, auch wenn ich Gesichter mit einfließen lasse, die ich kenne. Bestimmte kunsthistorische Vorbilder werden in ihnen sichtbar, etwa der archaische und der hellenistische Stil in der altgriechischen Kunst, ägyptische Köpfe aus der Zeit von Echnaton, aber auch die Neue Sachlichkeit. Die Köpfe sind stilisiert und haben teilweise etwas Maskenhaftes. Der Hang der heutigen Menschheit zum Unpersönlichen und Maschinellen, zum Avatar spiegelt sich in ihnen. Es geht mir um die Herstellung eines konkreten Punktes, an dem verschiedene Gedankenstränge und Tendenzen zusammen laufen, nicht um Auflösung, sondern um Verdichtung, in der Kunst wohlgemerkt, die ich von anderen Bereichen des Lebens trenne. „Art ist Art and everything else is everything else“, wie Ad Reinhardt sagte.

Ich behaupte mit Richard Rorty, dass in der Welt zwar alles fluktuierend, verhandelbar und kontingent ist, es aber dennoch einen Bereich gibt (die Kunst, die Selbsterschaffung, das Private), in dem eine abschließende, wenn auch vorübergehende Beschreibung möglich ist. Man beherrscht die Kontingenz, indem man sie erkennt, und versucht nicht, Selbsterschaffung und Politik miteinander zu versöhnen. Diese können „in einem Leben kombiniert, aber nicht in einer Theorie zur Synthese gebracht werden“ (Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Suhrkamp, 1989, S. 200).

Wie präsentiere ich nun meine Bronzeköpfe unter den vorgestellten Prämissen und den Gegebenheiten der zeitgenössischen Kunst? Wie gestalte ich ein zeitgenössisches , fluktuierendes Denkmal? Als Fiktion? Lüge? Relikt? Auf einem Sockel? Was für einem?

Die Köpfe entsprechen meiner persönlichen Beschreibung der Welt, der ich einen absoluten Wert verleihe. Dies zeigt sich in den gewählten Formen, dem klassischen, schwer zerstörbaren Material, der Kompaktheit, dem Gewicht, der physischen Präsenz der Skulpturen. Aber in welcher Weise können diese Objekte in einer Welt der fluktuierenden Bedeutungszuschreibungen stehen? Sie brauchen ein brüchiges Fundament, einen changierenden Rahmen, einen Sockel als rhetorische Figur, den ich sowohl als Fundament als auch als sinnstiftendes Element nutze.

Ein Aquarium könnte solch ein Sockel sein. Ein Aquarium ist ein mit hochtechnologischen Mitteln reproduzierter Ausschnitt aus der Natur, eine kleine Welt, eine Unterwasserwelt; die Fische sind ihres natürlichen Habitats beraubt, wir beobachten fasziniert ihre Vielfalt und merken aus sicherer Distanz, wie groß die Welt ist, wie schön und fremd. Wir wissen, dass wir sie nie begreifen werden, obwohl wir maximale Kontrolle über sie ausüben wollen. Mein Sockel ist ein Stück schillernder, flüchtiger Welt, statisch und gleichzeitig in ständiger Bewegung, und meine Köpfe stehen in ihm. So befinden sie sich zwar in einem autonomen, künstlerischen Bereich, entgehen aber der Fiktion des ewigen Fundaments. Vergänglichkeit wird dagegen suggeriert durch Wasser als flüchtigem Element, das die Bronze mit der Zeit angreifen und visuell verändert wird; durch Bronzeköpfe im Wasser, einem Bild, das vergangene Zivilisationen, Archäologie, Ausgrabungen, das Vergehen der Zeit, die Wandelbarkeit von Orten heraufbeschwört.